Das Informatik Memorandum
Gliederung:
- Allgemeines
- Gestaltung des Informatikstudiums
- Überlegungen zum Aufbau des Grundstudiums
- Das Hauptstudium
- Aufbau der Lehrveranstaltungen
Allgemeines
Das vom Senat 1969 verabschiedete Informatik Merorandum war in vielen
Angelegenheiten revolutionär, und es spiegeln sich deutlich die Ideen der
68er Studentenbewegung darin wieder.
Forderungen beinhalten:
- Ganzheitliche Lehre der Informatik
- Keine Trennung des Studiums in "Grundlagen" und "Fachstudium"
- Förderung der eigenständigen Arbeit
- Häufiges überprüfen der Lehrmethoden auf ihre Angemessenheit
- Kumulatives Vordiplom anstatt einer punktuellen Vordiplomsprüfung
- Keine großen Vorlesungen, statt dessen Praktika
- Boolsche Noten
Darmstadt war eine der 12 Hochschulen, die den Studiengang Informatik im Rahmen des ÜRF einrichten konnten. Dazu wurde eine Senatskommission aus Mitgliedern der Fakultäten Elektrotechnik, Mathematik/Physik und Kultur- und Staatswissenschaften, sowie Vertretern der Nichtordinarien, Nichthabilitierten und Studenten aufgestellt.
Das Informatik Memorandum zeigte, daß man nach angelsächsischem Vorbild eine Studienrichtung "computer science" einführen wollte, die einen eigenen Fachbereich bilden sollte.
Bis die Pläne zur Einrichtung eines Informatikfachbereichs durchgeführt werden konnten, gab es eine Übergangslösung, bei der die Fakultät Elektrotechnik schon im Wintersemester 1968/69 eine vorläufige Fachrichtung Informatik auf Grund der vorhandenen Lehrveranstaltungen einführte.
Gestaltung des Informatikstudiums
Das Informatik Memorandum, dessen Inhalt hier im Folgenden dargelegt wird, bemühte sich alle Bereiche des Studiums klar zu beschreiben und auf die Bedürfnisse des Faches, der Dozenten und der Studenten einzugehen.
Trotz seines Detailreichtums stellt das Informatik Memorandum nur den Rahmen für die neue Studienordnung dar, der noch konkret ausgefüllt werden mußte. Abweichungen von diesen Vorstellungen waren dadurch schon vorprogrammiert.
Die Schwerpunkte der Informatik wurden wie folgt festgelegt:
- Entwurf der logischen Organisation von Rechnersystemen (hardware organization engineering)
- Entwicklung der zum Rechnersystem gehörigen Systemprogramme (system software engineering)
- Mitwirkung bei der Erschließung neuer Anwendungen (applications software engineering)
Überlegungen zum Aufbau des Grundstudiums
- Für den Informatiker ist es wichtig, daß er über genügend physikalisch-technische Kenntnisse verfügt, um sowohl beim Systementwurf mit den Bausteinentwicklern kommunizieren als auch bei der Prozeßsteuerung die geeigneten Steuerungsverfahren entwickeln zu können.
- Ein weiterer wichtiger Bereich, der zur Informatikausbildung gehören muß ist die System- und Anwendungstheorie: z.B. Automatentheorie, Theorie der formalen Sprachen, Informationstheorie und Optimierungstheorie.
- Die Studenten müssen die Gelegenheit erhalten, sich möglichst viel praktisch am Rechner zu betätigen, und ebenfalls hoher Wert wird schon während des Studiums auf die Teamarbeit gelegt.
Auf Grund dieser Überlegungen war es nötig im mathematischen Bereich neben den schon bestehenden Veranstaltungen für Ingeneure auch die Grundlagen der Informatiktheorie (elementare, algebraische und topologische Strukturen, Graphik, Kombinatorik, Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik) anzubieten. Daneben sollte es Veranstaltungen in Physik und Elekrotechnik geben und vom ersten Semester an auch praktische Arbeit am Rechner, unterstützt durch Einführungsvorlesungen und -praktika in den Bereichen Aufbau, Wirkungsweise und Programmierung von Computern.
Das Grundstudium mit seinen Pflichtveranstaltungen sollte nach 3 Semestern abgeschlossen werden können.
Das Hauptstudium
Das Angebot des Hauptstudiums sollte sich nach der späteren beruflichen Tätigkeit richten. Folgende Studienrichtungen waren vorgesehen:
- Theoretische Informatik, zur Weiterentwicklung der Theorie der Informatik
- Systemorientierte Informatik, für Entwurf und Steuerung? (=innere Organisation und zugehörige Software?) von Datenverarbeitungsanlagen
- Anwendungsorientierte Informatik, mit betriebswirtschaftlichem oder prozeßsteuerungs Schwerpunkt.
Zum Ende des Studiums hin sollten noch zwei Arbeiten angefertigt werden: eine im Umfang einer Diplomarbeit, die selbständig angefertigt werden mußte, die zweite bestand aus Gruppenarbeit, bei der man sich mehrere Monate gemeinschaftlich um die Lösung eines Problems bemühte. Beide Arbeiten sollten sich im Rahmen eines Forschungsprojekts bewegen, und die erarbeiteten Ergebnisse der Foschungsgruppe zugute kommen.
Aufbau der Lehrveranstaltungen
Um die gesteckten Ziele:
- Abschaffung der Massenvorlesungen
- Individuelle Betreuung der Studenten
- Ersatz der punktuellen Prüfungen durch studienbegleitende Leistungskontrolle
- Gezielte Ausbildung zur Arbeit im wissenschaftlichen Team
verwirklichen zu können, war es notwendig, die Lehrveranstaltungen anders
zu konzipieren als bislang üblich.
Man verzichtete nicht komplett auf Vorlesungen, legte ihnen aber ein
ausformuliertes Skript zu Grunde, das von dem Dozenten nur erläutert wurde.
Das wirkliche Lernen sollte nicht mehr in den Vorlesungen, sondern in
den dazugehörigen Übungen stattfinden. Hier sollten sich drei Gruppen zu
je 4 bis 5 Studenten mit einer Lehrperson über
Verständnisschwierigkeiten im Skript unterhalten und später zur
Vertiefung in Gruppen Zusatzaufgaben lösen.
Um die Leistung des Studenten zu bewerten, wurden die Ergebnisse der in den
Übungen entstandenen Gruppenarbeiten herangezogen und durch kleine
Einzeltests sollte auch die Leistung der einzelnen Gruppenmitglieder
bewertbar gemacht werden. Gruppenergebnis und Einzelergebnis sollten in
einer sinnvollen Gewichtung zueinander stehen. Zur Bewertung der Arbeiten
gab es nur Boole'sche Noten (d.h. bestanden / nicht bestanden).
Das gesamte Studienprogramm sollte sich in drei Abschnitte gliedern. Am Anfang stehen die Grundlagen, die in Pflichtveranstaltungen vermittelt werden sollten, darauf folgt eine Phase der Vertiefung der Kenntnisse und zuletzt sollte sich der Student in einem Spezialgebiet weiterbilden und darin auch selbständig wissenschaftliche Arbeiten anfertigen. Zwischen allen drei Abschnitten war jeweils eine individuelle Studienberatung geplant. Außerdem war zwischen dem 2. und 3. Abschnitt ein Fachpraktikum in der Industrie angestrebt, dessen Durchführbarkeit aber noch nicht sicher war.
Die Frage, ob man die Informatik als Fachgebiet einem Fachbereich zuordnen sollte, z.B. der Elektrotechnik, wurde verworfen, da dies zu einer einseitigen Ausrichtung des Faches hätte führen können. Um dies zu vermeiden wäre es möglich gewesen, die Informatik mehreren Fachbereichen zuzuordnen, dies hätte aber mit Sicherheit zu Problemen bei der Konsensfindung geführt. Schließlich entschied man sich für die Lösung, die Informatik als eigenen Fachbereich einzurichten, denn es waren, sollte alles nach Plan gehen, genügend wissenschaftliche Mitarbeiter vorhanden um ein solches Vorgehen zu rechtfertigen.